¡Viva la huelga! – 1. Bericht der Brigade “Juan Goytisolo”
Compañeras y compañeros,
der winterliche Regen in Andalusien neigt sich dem Ende, alle Brigadist*innen sind gelandet und unsere fünfte Almería-Brigade „Juan Goytisolo“ läuft auf Hochtouren. Unser wichtigstes Anliegen dieses Mal wird es sein, die Arbeitskämpfe der Landarbeiter*innengewerkschaft SOC-SAT, die wir hier vor Ort begleiten, auch auf internationaler Ebene sichtbar zu machen, zu vernetzen und zu unterstützen.
Almería liegt im äußersten Südosten Spaniens, eine der sonnigsten und trockensten Regionen Europas. Rund um die Stadt entstand in den letzten Jahrzehnten die größte Ansammlung von Gewächshäusern des Kontinents: das Plastikmeer. Unter Plastik werden hier ganzjährig Tomaten, Paprika und Gurken gezüchtet, die nicht zuletzt in deutschen Supermärkten landen. Die günstigen Preise im Laden sind jedoch teuer erkauft: Den mehrheitlich migrantischen Arbeiter*innen werden grundlegende Arbeitsrechte verwehrt, unbezahlte Überstunden, Bezahlung unter Mindestlohn etc. sind an der Tagesordnung. Die Gewächshausbetreiber*innen rechtfertigen die schlechte Bezahlung mit dem großen Preisdruck auf dem europäischen Markt – doch die transnationalen Supermarktkonzerne, die die Preise diktieren, interessieren sich noch weniger für die Belange der Arbeiter*innen.
Gegen die Ausbeutung im Plastikmeer
Nachdem wir des Nachts im Gewerkschaftsbüro angekommen waren und der Gewerkschaftssprecher José uns herzlich willkommen hieß, fuhren wir am nächsten Morgen gemeinsam zu einer schon länger geplanten Streikaktion in der Provinz Níjar, 40 Kilometer östlich von Almería. Hier, mitten im Plastikmeer, sitzt Eurosol, das Unternehmen, das uns auf unserer letzten Brigade am meisten beschäftigte. Bei der acción sindical (Gewerkschaftsaktion) geht es in der Regel darum, vor Ort Druck auf Betriebe auszuüben, die durch Arbeitsrechtsverletzungen auffällig geworden sind. Vor den Toren der Abpackhallen und Gewächshäuser verteilen wir mit den Genoss*innen der SOC-SAT Flyer und Infohefte. Die Präsenz der Gewerkschaft soll die Arbeiter*innen informieren und ermutigen, sich gegen die Missstände zu organisieren und für Verbesserungen einzutreten. Den Beginn des Konflikts haben wir auf unserer Brigade „Somos Naqaba“ im September 2017 dokumentiert (mehr dazu: „Tierra y Libertad – Dritter Brigadebericht der Brigade ‘Somos Naqaba’“).
Mit Bedauern mussten wir feststellen, dass sich im vergangenen halben Jahr wenig geändert hat.
Zwar wird bei Eurosol der im regionalen Tarifvertrag („convenio del campo“) festgeschriebene Tariflohn auf dem Papier eingehalten, doch berichten die größtenteils osteuropäischen Arbeiter*innen weiterhin von unbezahlten Überstunden, ausbleibenden Zahlungen für Transport und die Verweigerung von Festanstellungen. Außerdem dauern Schikanen und Einschüchterungsversuche durch Vorgesetzte an. Seit September etablierte sich eine offizielle gewerkschaftliche Vertretung der SOC-SAT im Betrieb („sección sindical“). Diese rief an jenem Tag zum Warnstreik auf. Circa 35 Arbeiter*innen folgten dem Aufruf zur Arbeitsniederlegung und versuchten vor den Gewächshäusern ihre Kolleg*innen, die sich bisher vor gewerkschaftlicher Organisation gescheut hatten, zur Teilnahme am Streik zu bewegen. Doch die Angst vor Repressalien sitzt tief bei den meisten.
Dennoch verschafften unsere Genoss*innen ihren Forderungen Gehör, als wir ein paar Stunden später im strömenden Regen einen Fünf-Kilometer-Kraftmarsch durch die Stadt Vícar zurücklegten und in einer lauten Demonstration direkt vor das Büro der Eurosol-Chefin zogen. Diese stürmte auf den Platz, hatte aber für die Angestellten statt Verständnis nur Einschüchterungsversuche übrig: „Du wirst schon sehen, was du davon hast!“
Der Betrieb ist also alles andere als gewillt den Arbeiter*innen ihre Rechte einzugestehen und den Forderungen nachzugeben. So wie es momentan aussieht, wird der Konflikt vor Gericht gehen, da sonst keine Einigung erzielt werden kann.
Druck auch in Deutschland
Für ihre Arbeiter*innen haben die Gewächshausbetreiber*innen kein offenes Ohr, wohl aber für ihre Großkund*innen. Es hat sich als Strategie der SOC-SAT bewährt, Supermärkte und Großhändler mit den Vorwürfen der Arbeiter*innen zu konfrontieren, sodass diese (um ihr Image bei der Konsument*in besorgt) Druck auf die Arbeitgeber*innen ausüben, Arbeitsrechte einzuhalten. Deshalb sind wir gerade fleißig dabei, alle vorhandenen Dokumente zu sichten und zu strukturieren, um basierend darauf Berichte an Zwischenhändler, Supermärkte, Verbände für Gütesiegel und zuständige Behörden auf nationaler und internationaler Ebene zu schreiben. Zum Beispiel wissen wir, dass Eurosol-Produkte in einem niederländischen Supermarkt verkauft werden. Außerdem hat Eurosol in den Jahren 2015 und 2016 etwa 2 Mio. Euro an EU-Agrarsubventionen kassiert. Eine Schweinerei, wenn man trotz dieser massiven finanziellen Unterstützung, bei den Arbeiter*innen einspart. Wir hoffen durch diesen internationalen Druck die Betriebsleitung zum einlenken zu bewegen.
Da Lieferketten nur selten durch öffentlich zugängliche Informationen im Internet nachvollziehbar sind, sind wir auch auf Detektivarbeit im Supermarkt angewiesen. Daher an dieser Stelle nochmal der Aufruf an euch alle: Falls ihr im Supermarkt Gemüse mit Etiketten aus der Provinz Almería oder sogar von Eurosol findet, fotografiert sie und schickt uns ein Foto! (info@interbrigadas.org)
Es gibt noch einige andere Betriebe, zu denen wir auch Recherchen anstellen, um uns auf Arbeitskonflikte vorzubereiten. Generell arbeiten wir an einer Datenbank und einem Kommunikationssystem mit der Gewerkschaft, um Informationen über Arbeitskämpfe und Arbeitsrechtsverletzungen zu strukturieren und vereinheitlichen. Dann könnte unsere Recherchegruppe in Zukunft auch von Berlin aus Druck auf die Supermarkt-Konzerne ausüben.
Räumungen und Widerstand im Barrio El Puche
Unser Arbeitsfeld in Almería besteht nicht nur im Plastikmeer, sondern auch in der Stadt selbst. Letzten September waren wir im marginalisierten Stadtviertel “El Puche” unterwegs, um uns dort mit einer hauptsächlich von Frauen getragenen Protestbewegung gegen Wohnungsräumungen zu solidarisieren. Die betroffenen Wohnungen vergab die Stadt im Rahmen eines Sozialbauprojektes vor über 20 Jahren. Es hat sich eine lebhafte und vielfältige Sozialstruktur entwickelt, doch die Stadtverwaltung kümmert sich seit langem nicht mehr um das Viertel, eher im Gegenteil: Die einzige Buslinie wurde Ende 2015 gestrichen, die Straßenreinigung und Müllabholung eingestellt. Die katastrophalen Zustände sind also von der Stadt mitverschuldet. In den Medien hört man dagegen nur von Kriminalität und Marihuana-Anbau, die Bewohner*innen werden stigmatisiert. Nach Jahren der Verwahrlosung, hat man festgestellt, dass viele Wohnungen von Betrüger*innen weiterverkauft wurden. Die Reaktion der Stadt ist absurd: Sie bot die Wohnungen zu surrealen Preisen zum Kauf an, die sich die finanziell schlecht gestellten Landarbeiter*innen und Arbeitslosen nicht leisten können – zumal sie ja bereits für die Wohnungen bezahlt haben! Andernfalls, so die Stadt, werde geräumt.
Während unserer letzten Brigade schlossen sich die „Vecin@s“ (Nachbar*innen) zusammen und protestierten gemeinsam. Doch nach unserer Abreise eskalierte der Konflikt: Drei Haushalte wurden brutal geräumt, es kam zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Sie schlug Fenster ein, zerstörte ganze Wohnungen bis zur Unbewohnbarkeit. Drei Familien verloren ihre Bleibe. Doch dank des lebhaften Widerstands der Bewohner*innen des Barrios und auch durch Intervention politischer Akteur*innen, wie der Gewerkschaft SOC-SAT und der Partei Podemos, wurden die ausstehenden zwanzig Räumungen für unbegrenzte Zeit auf Eis gelegt. Zwei Familien konnten mittlerweile auch wieder zurück in ihre Wohnungen.
Während der letzten Brigade haben sich die Bewegungen der Landarbeiter*innen und im Barrio El Puche verzahnt: Wir freuen wir uns über die Verstärkung zweier Aktivist*innen der Protestbewegung, die sich nun mit vollem Einsatz in der Gewerkschaft engagieren. Dank ihnen haben wir einen guten Draht zu den Bewohner*innen von El Puche und wollen uns konstruktiv einbringen. In einer gemeinsamen Aktion gestalteten wir vergangene Woche ein großes Transparent für die Demo am internationalen Frauenkampftag. Die verblassten Fassaden möchten wir gemeinsam mit den Anwohner*innen mit Wandbildern verschönern. Die ersten Ideen zu Motiven und Parolen, mit denen sich die Leute identifizieren, wurden schon gesammelt.
Auf zum feministischen Streik!
Am 7. März um 20 Uhr in der Innenstadt Almerías: Wir hatten Töpfe, Löffel, Deckel, Pfeifen und vieles mehr dabei, was laut war, denn wir wollten heute laut sein. Wir liefen durch die Straßen und riefen zum Generalstreik aller Frauen am Folgetag auf. Der 8. März ist der weltweite Frauenkampftag und auf der ganzen Welt sollen an diesem Tag die Frauen auf die Straßen gehen und ihre Arbeit niederlegen, um gegen Marginalisierung, Ausschluss und Demütigung, die alltägliche, unsichtbare machistische Gewalt und für vollkommene Gleichheit der Rechte, Lebensbedingungen und Akzeptanz der Vielfalt und sexuellen Identität aller Frauen zu demonstrieren. Wir solidarisieren uns mit diesem Aufruf der feministischen Bewegung „movimiento feminista“: „Paramos para cambiarlo todo“ („Wir streiken, um alles zu verändern“)
Am 8. März sollten mehrere Aktionen an unterschiedlichen Orten stattfinden und so machten wir uns morgens auf zur „Universidad de Almería“. An der Universität, genau wie an anderen Institutionen, wurden Lehrkräfte und Studierende am Frauenkampftag lediglich für zwei bis vier Stunden freigestellt. Innerhalb dieser vorgegebenen Zeit sollten sie sich im universitären Rahmen mit ausgewählten feministischen Themen beschäftigten. Nachdem wir uns am Morgen vor der Uni versammelt hatten, fassten wir als Gruppe den Entschluss den regulären Ablauf der Seminare und Vorlesungen lautstark zu stören und zusätzlich mit Flyern auf den Frauenkampftag und die anstehende Demo in Almería aufmerksam zu machen. Um ein Zeichen dafür zu setzen, dass eine zweistündige Freistellung vom Arbeitsbetrieb nicht genügt und deshalb nicht akzeptiert werden sollte, wollten wir die Veranstaltungen unterbrechen, die sich ausschließlich im Rahmen des 8. März mit feministischen Themen befassten. Dabei ging es uns aber nicht darum diese Themen abzuwerten, im Gegenteil wollten wir auch aufzeigen, dass zwei Stunden nicht ausreichen, sondern jeder Tag das gesamte Jahr Feminismus ein wichtiger Bestandteil des Lehrplans sein sollte und, dass der Rahmen der Universität in einem vorgegeben geschlossenen Raum, der nur einer bestimmten Gruppe zugänglich ist, nicht ausreicht. Der Kampf muss genauso in den Straßen geführt werden.
Am Mittag besuchten wir das Krankenhaus in El Ejido. Hier trafen wir für einen Frauenstreiktag erstaunlich viele Pflegerinnen, Ärztinnen und andere Arbeiterinnen an. Während uns die Pfleger*innen und Genoss*innen der SAT durch die Krankenhausgänge führten, kamen wir immer wieder ins Gespräch mit den Beschäftigten. Einige erzählten uns, dass sie nicht einmal zwei Stunden streiken würden, da sie für die ausfallenden Stunden nicht bezahlt werden und/oder diese nachholen müssten. Dennoch versuchten wir für die abendliche Demo zu mobilisieren, bei der sich ab 20 Uhr 25.000 Menschen sammelten um mit Transpis, Plakaten und Sprechchören auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Angeführt wurde der Demozug von den Gewerkschaften, die sich mit der Zweistundenregelung zufriedengegeben haben, andere Gewerkschaften, wie beispielsweise die anarchistische CNT machten lautstark klar, dass ein Generalstreik, das einzig wirksame ist („No solo 2 horas, son 24“).
Ein Generalstreiktag wie er in Spanien ausgerufen wurde, verdeutlicht auch, dass es innerhalb der feministischen Bewegung unterschiedliche Auffassungen zur Umsetzung gibt. Die Diskussionen wurden bei der abendlichen Demo öffentlich gemacht. Wir, Brigadistinnen, sprechen uns für einen generellen feministischen kämpferischen Streiktag aus. Wir kämpfen weiter! Viva la Vulva!
Wer war eigentlich Juan Goytisolo?
Benannt haben wir die Brigade nach dem Schriftsteller und Journalisten Juan Goytisolo (1931 – 2017). Er thematisierte und kritisierte von Beginn an die sozialen Widersprüche im franquistischen Spanien. Seine Werke blieben bis zum Tod Francos in Spanien verboten. Er selbst floh Mitte der fünfziger Jahre ins Exil nach Paris. Nach mehreren Reisen veröffentlichte er Bücher über das Almería der fünfziger Jahre (v.a. „Campos de Níjar“ und „La Chanca“), das von Armut und Emigration geprägt war. In seinen Werken finden wir spannende Parallelen zur Aktualität: So hat der zwischenzeitliche wirtschaftliche Boom Almerías nicht dazu beigetragen die miserable soziale Lage zu verbessern, sondern hat diese lediglich auf die migrantischen Arbeiter*innen vom afrikanischen Kontinent verlagert, was Goytisolo unter anderem in seinem 2003 veröffentlichten “España y sus ejidos” scharf kritisiert. Er wurde 2014 mit dem Cervantes-Preis ausgezeichnet. Goytisolo war also nicht nur ein scharfsinniger Analytiker der sozialen Ungerechtigkeit im Kapitalismus, sondern bezog – selbst unter Gefährdung des eigenen Lebens – immer Position gegen die Strukturen der Ausbeutung. Deshalb gilt er uns auf dieser Brigade als Vorbild.
Das war’s fürs Erste. Wir sind gespannt, wie sich die Lage hier entwickeln wird. Vor allem die Arbeit rund um den Konflikt Eurosol liegt uns sehr am Herzen. Doch es gibt auch andere wichtige Ereignisse, die anstehen: Zum einen soll die besetzte Finca „Cerro Libertad“ am 19. März geräumt werden, wo wir auf jeden Fall dabei sein werden. Danach besucht uns eine Schulklasse der Mosaik-Schule aus Oranienburg, mit der wir eine alternative Kursfahrt geplant haben.
La lucha sigue! Ahora y siempre.
Bis dann,
Eure Interbrigadistas