Frust, Wut und Kampfgeist – Fünf Tage Generalstreik in den Gemüseabpackhallen Almerías
Zum ersten Mal in der Geschichte des Sektors riefen die größten Gewerkschaften Spaniens UGT und CC.OO zum Generalstreik in den Obst- und Gemüseabpackhallen Almerías auf. Betroffen vom Streikaufruf waren 25.000 Arbeiter*innen – vor allem Frauen, vor allem Migrant*innen – in äußerst prekären Arbeitsverhältnissen. Pro Tag verpacken diese Arbeiter*innen in großen sterilen Hallen im Akkord 12.000 Kilo Obst und Gemüse, das zu einem großen Teil in unseren Supermarktregalen landet. Die Arbeit ist monoton und schwer. „Viele, die über Jahre hinweg in der Branche tätig sind, leiden an chronischen Erkrankungen im Hals- und Wirbelsäulenbereich, einige von ihnen begleiten wir in ihrem langwierigen Kampf um Entschädigungen“, erzählt der Gewerkschaftssprecher der SAT José Garcia Cuevas.
Die Arbeitsschichten können je nach Auftragslage zwischen vier bis zu 16 Stunden andauern. Die Arbeiter*innen müssen maximal flexibel sein. Fast niemand weiß genau im Vorhinein wie die Wochen- oder Monatsarbeitszeiten aussehen und wie viel sie am Schluss verdienen werden. Ana (53), spanische Abpackhallenarbeiterin und UGT Mitglied berichtet: „Die Zustände sind untragbar, obwohl wir ganz Europa Tag täglich mit frischem Gemüse versorgen haben wir kein Leben, wir können nicht planen, wann wir unsere Familien sehen und wie wir unsere Freizeit gestalten wollen.“ Die einzigen Lohnerhöhungen, die es in den vergangenen Jahren gab, richteten sich nach der Entwicklung des allgemeinen Mindestlohns in Spanien. Tariflöhne, wie sie landwirtschaftliche Sektoren in anderen spanischen Provinzen kennen, gibt es seit dem Auslaufen des letzten Tarifvertrags im Jahr 2018 nicht mehr. Noch prekärer erweist sich die Situation in den Gewächshäusern, wo der entsprechende Tarifvertrag 2015 auslief und in vielen Fällen nicht einmal der Mindestlohn ausbezahlt wird, da die Lohnabrechnungen manipuliert werden.
Nur jede/r fünfte Beschäftigte verfügt über einen festen Arbeitsvertrag. Mindestens 80 % aller Beschäftigten leben in permanenter Furcht ihren Arbeitsplatz von heute auf morgen verlieren zu können und wechseln fast jedes Jahr von einem befristeten Beschäftigungsverhältnis ins Nächste. Der Arbeitsdruck in dem hochkompetitiven Sektor ist groß. Ana berichtet von regelmäßigen Schikanen am Arbeitsplatz. Toilettengänge werden kontrolliert. Vorarbeiter*innen brüllen und erniedrigen Angestellte. Auch sexualisierte und rassistische Kommentare gegenüber Arbeiter*innen sind an der traurigen Tagesordnung. José Garcia Cuevas von der SAT werden in regelmäßigen Abständen Audio- und Videomitschnitte von Arbeiter*innen zugespielt, die mit ihren Smartphones heimlich ihre Vorarbeiter*innen aufnehmen.
Nach zweijährigen erfolglosen Verhandlungen mit dem Unternehmerverband COEXPHAL entschlossen sich UGT und CC.OO die Beschäftigten des Sektors für den 23., 24., 26. und 28.12. zum Streik aufzurufen. Vertreter*innen der andalusischen Basisgewerkschaft SAT, die schon in der Vergangenheit die zögerliche und unternehmerfreundliche Haltung der großen Gewerkschaften kritisierten und auf öffentlichkeitswirksame Mobilisierungen setzen, rechneten mit Zugeständnissen von Seiten der UGT und CC.OO bevor es überhaupt zum Streik kommen würde, so wie es vormals im Jahr 2012 schon der Fall war.
Im Verlauf der aktuellen Verhandlungen schienen jedoch die Vorstellungen der Unternehmer*innen und die der verhandlungsführenden Gewerkschaften zu weit auseinander zu gehen. Die Arbeitgeber offerierten maximal einen Inflationsausgleich für eine Vertragslaufzeit von fünf Jahren. Zusätzlich sollen die Arbeiter*innen unbezahlte Überstunden leisten, begründet mit Personalausfall durch Covid-19 Infektionen. Die Abpackhallen Arbeiterin Ana empfindet eben diese Forderung der Arbeitgeber als Frechheit: „Nicht nur, dass unsere Arbeitsbedingungen beschämend genug sind, jetzt sollen wir auch noch offiziell unbezahlte Überstunden leisten…, bei mir persönlich war das der Tropfen der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“ Die im Gegenzug durch die Gewerkschaften aufgestellten Forderung von einer Lohnerhöhung von 2 % pro Jahr, die höhere Bezahlung von Überstunden (11 Euro für jede Stunde, die über der regulären Wochenarbeitszeit liegt), die Begrenzung der regulären Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden die Woche, die Festanstellung eines festen Prozentsatzes der Belegschaft und die Planbarkeit von Wochenarbeitszeiten wurden abgelehnt.
Der Stillstand am Verhandlungstisch gepaart mit der angestauten Wut der Arbeiter*innen führte letztendlich zum Streik. Auch die SAT und die anarchosyndikalistische CNT unterstützten trotz strategischer und inhaltlicher Differenzen den Streikaufruf der großen Gewerkschaften. Gleichzeitig wurden an allen fünf Tagen an den 30 größten Abpackhallen um Almería Streikposten errichtet. Insgesamt beteiligten sich zwischen 2000 und 3000 Personen am Streikgeschehen. Vertreter*innen aller Gewerkschaften beklagten illegale Versuche von Seiten der Unternehmerseite Arbeiter*innen den Gebrauch ihres Streikrechts zu unterbinden, in dem individuell Angestellte telefonisch unter Druck gesetzt und Streikbrecher*innen eingesetzt wurden. In Einzelfällen kam es sogar zu physischen Übergriffen. Ein Fall von einem Unternehmer, der eine Franco-Atemschutzmaske trug und einem Arbeiter die Kamera aus der Hand schlug erregte besonderes Aufsehen. Trotz der Einschüchterungsversuche konnte das Produktionsgeschehen an einigen Standorten gestört werden. Die mittelgroße Abpackhalle mit circa 300 Angestellten, in der Ana von der UGT arbeitet, wurde durch den Streik für fünf Tage komplett lahmgelegt. Dass sich dann die Unternehmer nach dem Streik erdreisten zu behaupten, der Streik habe keinen Einfluss auf das Produktionsgeschehen gehabt, bringt Ana zusätzlich in Rage.
Im Anschluss an den ersten Generalstreik des Obst- und Gemüsesektors in Almería, ziehen Vertreter*innen aller Gewerkschaften ein positives Fazit. Der symbolische und der öffentliche Druck auf die Unternehmer*innen sei groß. Die SAT, die im Vergleich eher auf direkte Konfrontation im Fall von Arbeitsrechtsverletzungen setzt, betont den Wert der Einheit aller Gewerkschaften bei den Streiks und fordert weitere Arbeitsniederlegungen sobald den Forderungen der Arbeiter*innen nicht nachgekommen wird. „Der Streik war ein magischer Moment, das Zusammenkommen mit meinen Kolleg*innen war ermutigend, es war mein erster Streik nach 15 Jahren Arbeit in der Abpackhalle“, so Ana von der UGT.
Die Fronten am Verhandlungstisch sind weiterhin verhärtet. Dass die Arbeitgeber ihren Beschäftigten substantielle Zugeständnisse machen, erscheint unwahrscheinlich. Vor allem die SAT wird nicht müde zu betonen, dass auch ein Abschluss die Unternehmerseite nicht daran hindern wird, tarifvertragliche Regelungen zu ignorieren, wie der weitverbreitete Lohnbetrug und die Ausstellung von falschen Arbeitsverträgen im Gewächshaussektor beweisen. Auch Ana ist nur vorsichtig zweckoptimistisch mit Blick auf die Zukunft: „Wir sind den Unternehmer*innen egal, auch der alte Tarifvertrag wurde nicht eingehalten, es wird getrickst und gelogen wo es nur geht, uns bleibt nichts anderes übrig, wir müssen weiter kämpfen.“
Seit Jahren kritisieren Gewerkschaften, NGOs und Journalist*innen die prekären Arbeitsbedingungen in der südeuropäischen Landwirtschaft. Almería steht dabei immer wieder im Fokus. „Konsument*innen, die mächtigen Supermärkten und auch Zertifizierungsunternehmen wie Global Gap, Naturland, Demeter und co übernehmen keine Verantwortung für die Zustände am anderen Ende der Lieferkette. Supermärkte und Zertifizierer kontrollieren sporadisch vor Ort, jedoch sind die Kontrollen in den meisten Fällen befangen, sie finden selten auf neutralem Boden außerhalb des Unternehmens statt, Betroffene werden umgangen und in Konflikte involvierte Gewerkschaften werden nicht beachtet“, so José Gracia Cuevas von der SAT. Zusammen mit anderen NGOs aus Nordeuropa wie dem Interbrigadas e.V. aus Berlin, dem Critical Cosumer Magazin aus Großbritannien und dem Europäischen Bürger*innen Forum aus der Schweiz versucht die SAT Supermärkte und Zertifizierer unter Druck zu setzten – mit leider nur bedingtem Erfolg: „Es müsste in den Abnehmerländern unserer Produkte einen viel größeren Aufschrei geben“, so Cuevas weiter.
Die strukturellen Probleme wie Kettenbefristungen, Arbeitsbelastung, Arbeitsplatzunsicherheit, geringe Entlohnung etc., die in der Region bestehen, scheinen den genannten Akteuren vollkommen egal zu sein. Eine öffentliche Positionierung wäre wünschenswert, eine dauerhafte, ernste Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften vor Ort wäre sinnvoll, wenn es darum geht den ethisch nachhaltigen Zielen und der eigenen harmonischen Außendarstellung gerecht zu werden und nicht nur der Steigerung eigener Verkaufszahlen.
Boris Bojilov – Interbrigadas e.V.