Internationalistischer Austausch mit der MST in Brasilien

27. April 2025|Berichte

Am 07. April besetzen 400 landlose Familien eine Fabrik, die 2023 durch illegale Praktiken Abfälle in Gewässer leiteten und dadurch eine Umweltkatastrophe auslöste. Ca. 250.000 Fische starben und das Wasser war verseucht. Bis heute wurde diese Firma nicht zur Rechenschaft gezogen. Die Familien besetzen die Fabrik, um ein Zeichen gegen die Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt und gegen die vom Staat akzeptierte und unterstützte industrielle Agrarwirtschaft zu setzen. Die Familien gehören alle dem Movimento do Trabalhadores rurais sem terra, kurz MST, an.
Der April wird bei der MST auch Abril Vermelho (roter April) genannt. 1996 wurden 21 Bäuer*innen, unter anderem der 19 Jahre junger Oziel Alves, ein Aktivist der MST, bei einem Marsch von der Polícia Militar in der Gemeinde Eldorado do Carajás ermordet. Seitdem wird dem Massaker von Eldorado dos Carajás im April eines jeden Jahres durch viele Landbesetzungen und andere Aktionen gedacht.

Die Bewegung
Die MST ist eine autonome soziale Massenbewegung von vor allem landlosen Bäuer*innen, die sich 1984 gegründet hat. Seitdem kämpfen sie vor allem durch das Besetzen von nicht genutztem Großgrundbesitz für Perspektiven von überwiegend landlosen Bäuer*innenfamilien. Die Bewegung will „die Landarbeiter und die Gesellschaft artikulieren und organisieren, um eine Agrarreform und ein Volksprojekt für Brasilien zu erreichen“.
Seit nun über 40 Jahren hat die MST es geschafft als Massenbewegung sich zu erhalten und stetig zu wachsen. 450 000 Familien konnten seitdem Land besetzten und arbeiten nun entweder für sich oder als Teil der 185 Produktion-, Vermarktungs- oder Dienstleitungskooperativen. Die meisten Familien bleiben nach der Ansiedlung weiterhin bei der MST organisiert, sei es, um die Verwirklichung der Agrarreform zu erkämpfen oder um Grundrechte auf den Ländereien zu erlangen, wie zum Beispiel Zugang zu Strom, sanitären Anlagen oder Kultur. Dies geschieht durch eine partizipative und demokratische Organisierungsstruktur.
Eine durchdachte und regelmäßige Evaluation innerhalb der Bewegung hat über die Jahre ein solidarisches System hervorgebracht. Die Bewegung setzt einen starken Fokus auf Bildung in unterschiedlichen Bereichen, sei es in der Alphabetisierung mit der erfolgreichen kubanischen Methode „Si, yo puedo“, Kursen zu Anbauformen, der politischen Organisierung oder auch der Geschichte Lateinamerikas. Folgende Themen werden von der MST behandelt: „Agrarökologie, Kultur, Menschenrechte, Internationalismus, Rechte von landlosen LGBTQ, Frauen und die Agrarreform des Volkes“. Um diese Themen an die Aktivist:innen zu bringen sind sowohl in den „Besetzungen“ und „Siedlungen“ als auch auf nationaler Ebene Schulen vorhanden.
Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit der MST sind zudem Brigaden: Regelmäßig gibt es Brigaden aus allen Teilen des Landes in die nationalen Institutionen der Bewegung, um vor Ort zu unterstützen. Auch internationalistische Brigaden sind ein wichtiger Teil der MST: Seit einigen Jahren hat die MST unteranderem dauerhafte Brigaden in Venezuela, Haiti und Sambia. Außerdem werden regelmäßig Brigaden nach Palästina und Kuba organisiert.
Das ideologisch Übergeordnete Ziel ist eine populäre Agrarreform und ein Systemwechsel hin zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Bis heute erfährt die MST zahlreiche Repressalien und Angriffe. Immer noch werden Menschen die Land besetzen ermordet. Der rote April ist daher ein wichtiger Monat des ständigen Widerstands.

Unser Austausch
Zwei unserer Genoss*innen waren für zwei Wochen an verschiedenen Orten des MST, um von deren Struktur und ihrer langjähriger Organisierung zu lernen und in den Austausch zu treten.
Empfangen wurden unsere Genossinnen und Genossen im nationalen Büro in Sao Paulo im Stadtzentrum. Das Büro ist so aufgebaut, dass verschiedene politische Gruppen, die auch internationalistisch arbeiten, in dem Gebäude ihre Büros haben. Die linke Zeitung Brasil de Feito, eine linke Buchhandlung und ein Laden mit verschiedenen Produkten der MST sind ebenfalls in dem Gebäude ansässig.
Im gleichen Stadtteil befindet sich ein soziokulturelles Zentrum der MST, das sich in einer alten Halle befindet, in der Stadtteil- bzw. Basisarbeit stattfindet und verschiedene Gruppen die Räumlichkeiten nutzen, z.B. mit Gesundheitskursen für Senior:innen, Soliküchen oder Film- und Diskussionsabenden. Seit einigen Jahren bemüht sich die MST um eine Politisierung und Mobilisierung nicht nur im ländlichen, sondern auch im städtischen Raum. Seit einigen Jahren versteht sich die MST als eine Bewegung, die sich nicht nur für eine Agrarreform und die Landlosen einsetzt, sondern generell für eine gerechtere Gesellschaft, in der es keinen Hunger mehr gibt.
Die MST ist auch stark vernetzt mit anderen politischen Gruppen in Brasilien, wie zum Beispiel der MTST, der Bewegung der Obdachlosen. Oder die Maos Solidarios, die mehr in den Stadtvierteln verankert Suppenküchen organisieren und mit der MST Alphabetisierungskurse durchführen. Auch sie konnten wir kennenlernen und einen Tag lang bei der Renovierung ihrer Räumlichkeiten mithelfen.


Wir konnten in den zwei Wochen die nationale Schule Florestan Fernandes, die agrarökologische Schule Pualo Kageyama und ein Assentamento (ein ehemals besetztes Stück Land, welches in die Hand ehemals landloser Familien überführt werden konnte) im Bundesstaat São Paulo kennen lernen.

In der nationale Schule Florestan Fernandes (https://www.amigosenff.org.br/) blieben wir einen Tag. Sie birgt Platz für über 200 Menschen. Dort werden Fortbildungen rund um Politik und Agrarwende angeboten und militante Aktivist*innen aus- und fortgebildet. Wie den Genoss:innen erklärt wurde, wurde der Bau der Schule rein aus (internationalen) Brigaden und Freiwilligen aufgebaut, in der eine nachhaltige Bautechnik angewendet wurde, bei der wiederum das Wissen an die Besetzungen bzw. Siedlungen weitergetragen werden konnte.
In der Agroökologischen Schule blieben wir zehn Tage. Die Schule wird von Brigaden aus Assentamentos (Siedlungen) aus ganz Brasilien betrieben. Für einen bestimmten Zeitraum kommen Menschen aus den Assentamentos in die Schule, um dort für das Movimento zu arbeiten. Aktuell besteht die Brigade vor Ort aus acht Brigadist:innen und einem Baby. Ziel ist es eine Permakultur aufzubauen und zu erhalten und Kurse rund um Agroökologie mit MST Aktivist:innen durchzuführen. Die Produkte aus der Permakultur dienen zur eigenen Verpflegung und für die Nationale Schule Florestan Fernandes. Außerdem werden sie in einen Laden in der Stadt Sao Paulo zum Verkauf angeboten. Anschließend besuchten wir eine Familie in einem Assentamento. Dort erfuhren wir dessen Organisation und Aufbau aber auch die Realität und Umsetzung einer seit längerem bestehenden Siedlung. Der Abschluss unseres Austausches war dann eine Auswertung mit dem Sektor Internationalismus der Bewegung in São Paulo.


Wir als Interbrigadas können viel von der MST lernen. Durch die langfristige Erfahrung als Massenbewegung zu agieren und regelmäßig Brigaden zu organisieren hat die MST über die Jahre viel Wissen und Praxis gesammelt. Die internationale Solidarität ist eine wichtige politische Säule ihrer Arbeit, um ihre Stärke in Brasilien aufrecht zu erhalten und das Projekt der Agrarreform nach außen zu tragen. Wir bleiben im Kontakt.

A luta por terra, reforma agrária e por transformação social!

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