Die Brigade Berta Cáceres (Teil 2) – Workshops und Arbeitskampf
Seit unserem letzten Brigadebericht ist eine Woche vergangen und unser Kursprogramm ist mittlerweile in vollem Gange. Wir sind an allen drei Standorten der SOC-SAT in Almería aktiv und dadurch mit vielen Frauen, Männern und Kindern in Kontakt gekommen. Während dieser Zeit haben wir viele Gespräche und Diskussionen geführt und auch einige Freundschaften geknüpft. Dies hat uns einen Einblick in die verschiedenen Facetten der hiesigen Lebens- und Arbeitsverhältnisse gegeben.
Aufgrund einer entgegen unserer Erwartungen großen Nachfrage in dem seit drei Jahren nahezu ungenutzten Gewerkschaftsbüro in San Isidro legen wir mit unserer Brigade einen Fokus auf die Wiederbelebung dieses Raums. Wir bieten dort nahezu jeden Tag der Woche Sport- und Spanischkurse sowie Kurse der visuellen Kommunikation an. Diese werden vor allem von einer Gruppe aus vorwiegend marokkanischen Arbeiter*innen besucht, die wir seit dem 7. März in ihrem Arbeitskampf unterstützen.
Das Büro soll ein Ort für nachhaltige Selbstorganisation werden, was aber für die relativ kleine Gruppe von Arbeiter*innen und angesichts ihrer prekären Lebenssituation nicht einfach ist. Wir sehen für uns vor allem die Gefahr, in bester „Polit-Tourist-Manier“ mit unseren Aktivitäten etwas groß aufzublasen, was nach unserer Abreise wieder in sich zusammenfällt. Stattdessen wollen wir helfen, eine stabile Entwicklung in Gang zu setzen, die die Menschen vor Ort selbst tragen können. Nach einigen Gesprächen hat sich bereits eine Person gefunden, die bereit wäre, zumindest die Spanischkurse fortzuführen. Des Weiteren ist eine Zusammenarbeit mit einer lokalen Gruppe von Podemos geplant. Dieser fehlt nämlich derzeit ein Büro und sie haben vor, das Büro mit zu nutzen. In welcher Form es mit ihnen zu einer Übereinkunft kommt, steht allerdings noch nicht fest.
Neben unserem Kursangebot besteht ein Großteil unserer Arbeit in der Unterstützung des oben beschriebenen Arbeitskampfes in San Isidro. Diese äußert sich in erster Linie in internationaler Öffentlichkeitsarbeit und der Vernetzung mit politischen Akteuren sowie der Gestaltung von Transparenten und der Unterstützung bei der Organisation einer Demonstration am kommenden Freitag.
Den Start für unsere Kursphase machten die 4 Brigadist*innen des Theaterkurses am 09. März in El Ejido. Es kamen überwiegend Frauen der Programa de la Mujer, insgesamt ca. zehn Personen. Für die geplanten Aktivitäten war es zunächst sehr wichtig, einander kennenzulernen und ein Gruppengefühl zu entwickeln. Dafür stellte sich beispielsweise jede Person mit ihrem Namen und einer individuellen Bewegung vor. So wurden die allergrößten Hemmungen abgebaut und die Stimmung gelockert. Gleichzeitig war zu spüren, wie schwer es vielen Teilnehmer*innen fiel, aus sich herauszukommen. Um den Raum genauer zu erkunden und erste Interaktion zu erproben, führten wir Spiele und kleinere Schauspielübungen durch, die in den folgenden Stunden langsam intensiver wurden. Wir fingen an, mit den Teilnehmer*innen Emotionen durch Tonfall und Mimik zu transportieren und kleine, ausgedachte Geschichten vor den anderen als Publikum zu erzählen.
Ebenfalls am Abend des 09. März wurde in El Ejido noch die Außenwand im Rahmen des Kurses zur visuellen Kommunikation gestaltet. Nach einem kurzen Input über bisherige Wandbilder im Rahmen internationaler Brigaden wurden aus vorbereiteten
Motiven Stencils gebastelt und diese an die Wand gebracht. Das Ergebnis war eine gesprayte Werbetafel für den am Sonntag anstehenden Filmabend. Bis auf einen kurzen Aufreger, als rassistische Nachbar*innen ein Ei nach den malenden Frauen warfen (und sie verfehlten), war das ein erfolgreicher erster Tag in El Ejido.
Zeitgleich fand auch unsere erste Aktivität im Büro in San Isidro statt. Wir malten gemeinsam mit den kürzlich entlassenen Arbeiter*innen ein Transparent und mehrere Schilder für ihre Kundgebung am 10. März, um vor dem Tor der Finca gegen die unrechtmäßige, politisch motivierte Entlassung zu protestieren. Diese verlief zunächst sehr ruhig, wenn auch entschlossen und energiegeladen. Als ein (angeblicher) Vertreter des Unternehmens zu provozieren begann und die Guardia Civil rief, konnte Laura, die Rechtsanwältin der SOC-Sat Almería schlichten. Seitdem stehen die Arbeiter*innen jeden Werktag ab 8 Uhr morgens vor dem Tor und warten auf ihren noch nicht ausgezahlten Lohn.
Nach dem vierstündigen Protest am Morgen sahen wir uns am Abend zum ersten Filmabend in San Isidro. Um den Arbeiter*innen ein Beispiel für die Internationalität ihres Kampfes zu geben, zeigten wir eine spanischsprachige Dokumentation über die Coalition of Immokalee Workers. Es handelt sich dabei um eine Basisorganisation migrantischer Landarbeiter*innen im Südwesten Floridas, die im gleichen Landarbeitssektor und unter ähnlich prekären Arbeitsbedingungen litten wie die Arbeiter*innen in der Region von Almería heute. Die Dokumentation zeigt, wie mithilfe von Streiks und öffentlichen Aktionen eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Lohnerhöhungen erreicht wurden.
Leider waren wir diesmal nicht ausreichend auf die Anwesenheit so vieler Kinder vorbereitet. In Kombination mit schlechter technischer Ausstattung war der Film so nur schlecht zu verstehen. Es war schwer, die Konzentration aufrechtzuerhalten, da die englischen Untertitel von den wenigsten der Anwesenden gelesen werden konnten. Aufgrund dessen gaben wir im Nachhinein einen kurzen Abriss über den Inhalt und die zentrale Botschaft, der danach ins Arabische übersetzt wurde.
Am Samstag gönnten wir uns die erste und einzige längere Auszeit der Brigade, indem die Mehrheit der Brigadist*innen in das malerische Dorf Rio del Agua fuhr, wo das kleine „Festival en defensa del agua“ stattfand.
Da wir aus den Fehlern von Freitag gelernt hatten, warteten wir am Sonntag in El Ejido mit gutem Ton und durchgeplanter Kinderbetreuung auf. Doch auch hier gelang es den knapp 40 Besucherinnen aufgrund mangelnder Spanischkenntnisse nicht, „Pan y Rosas“ (Brot und Rosen) zu folgen. Wir kürzten den zweistündigen Film auf die relevanten Szenen und in angemessenen Abständen gab Carmen, die Verantwortliche der SOC-SAT für die „Area de la mujer“, eine Zusammenfassung des Inhalts und der wichtigsten Botschaften, was wieder ins Arabische übersetzt wurde. Wir zogen die Konsequenz, vorerst keine Filmabende mehr zu veranstalten.
Am Montag, den 13. März schlug das bisher sommerlich sonnige Wetter in immense Regengüsse und starken Wind um. Doch auch das hielt die Arbeiter*innen und uns nicht davon ab, sich weiterhin vor dem Tor der Finca zu versammeln. Der Spanischkurs am Nachmittag war gut besucht und es wurden mit viel Hingabe erste Sprachspiele und -übungen umgesetzt.
Der Regen, der sogar einige Gewächshäuser zum Einsturz brachte, hörte am Dienstag wieder auf. Nachdem am Morgen bereits der Theaterkurs in El Ejido stattgefunden hatte, sollten wir am Dienstagnachmittag dort auch zum ersten Mal unseren Spanischkurs anbieten. Entgegen unserer Informationen können die meisten der knapp 30 Frauen weder lesen noch schreiben. Dieser Umstand und die Größe der Gruppe führten dazu, dass wir die Übungen vom Vortag nicht wie gewünscht umsetzen konnten. Für unsere anfangs angedachten, dann jedoch verworfenen Alphabetisierungskurse besteht hier dringender Bedarf. Während wir in El Ejido mit den Frauen Standardphrasen übten und mit ihren Kindern Jonglierbälle bastelten, wurde im Büro in Almería unsere Videoreportage zum Arbeitskampf in San Isidro fertiggestellt.
Diese sorgte bei den betroffenen Arbeiter*innen für große Begeisterung. Wir präsentierten sie ihnen am Mittwoch vor Beginn des Kurses der visuellen Kommunikation in San Isidro. Von der Euphorie profitierten alle Anwesenden bei der künstlerischen Gestaltung des Büros. Mit einem kämpferischen Wandgemälde und einzelnen Bildern brachten wir neben den Aktivitäten auch etwas Farbe in den zuvor unbenutzten Raum.
Am Donnerstag fand wieder der Theaterkurs in El Ejido statt. Leider ließ sich bisher wenig Kontinuität in den Kurs bringen, da die Teilnehmenden häufig wechseln oder über den ganzen Vormittag verstreut kommen. Trotzdem hatten wir gerade an diesem Tag viel Spaß. Abends sollte ursprünglich der Kurs zur visuellen Kommunikation stattfinden, doch da er sich mit Lauras Angebot zur Arbeitsrechtsberatung überschnitten hätte, beschränkte er sich auf ein Angebot zur Kinderbespaßung, während die Frauen sehr interessiert Laura zuhörten, Fragen stellten und von ihren Arbeitsbedingungen erzählten.
Auch am Freitag, dem 17. März unterstützen wieder einige von uns die Arbeiter*innen am Tor zum Gelände der Gewächshäuser in San Isidro bei ihrem Protest. Seit einer Woche harrten sie nun mittlerweile jeden Morgen mehrere Stunden bei starkem, kaltem Wind aus. Einer der kämpferischsten Arbeiter*innen, Mohammed, hatte uns schon mehrfach zu sich eingeladen.
Ein Teil der Gruppe besuchte ihn anschließend in seinem Haus, um nachmittags mit den anderen im Büro der SOC-SAT in San Isidro zum interkulturellen Abend zusammenzutreffen. Doch dazu sollte es nicht kommen. Als wir gerade ins Büro fahren wollten, erfuhr Mohammed vom Tode Hamid M.s während seiner Festnahme durch die Polizei. Wir fuhren in die Stadt und begleiteten ca. 300 Menschen bei einer wütenden, aber friedlichen Demonstration bis zum Haus des Toten. An uns bzw. unsere Kameras wurden manche Erwartungen gestellt, sowohl als Tor zur Öffentlichkeit, als auch als Schutz vor der Polizei. Der Abend im Büro verging mit Momenten der Trauer, der angeregten Diskussion und der Wut – nicht zuletzt angesichts der ersten, sehr tendenziösen Presseberichte.
Samstagvormittag fuhren wir wieder nach San Isidro, um mit den Arbeiter*innen und anderen das weitere Vorgehen zu besprechen. Auf der Demo am Tag zuvor war die Information gestreut worden, am Sonntag finde 11 Uhr eine Kundgebung vor dem Haus des toten Hamids statt. Die Diskussion im Büro der Gewerkschaft wurde sehr emotional, als es um die Teilnahme an dieser Kundgebung ging. Da niemandem die Organisator*innen bekannt waren, musste davon ausgegangen werden, dass es sich um eine unangemeldete Demo handelte. Angesichts des unsicheren bis illegalen Rechtsstatus vieler potentieller Teilnehmer*innen, angesichts des rigiden neuen Versammlungsgesetzes in Spanien (auch „ley mordaza“, also Knebelgesetz genannt) und angesichts der aufgeheizten Stimmung am Vortag erachteten ältere Gewerkschaftsvertreter*innen die Teilnahme als große Gefährdung. Indes stand fest, dass die Demo stattfinden und sich hunderte Menschen beteiligen würden.
Gegen Mittag fuhren einige von uns mit Vertretern der Gewerkschaft zu der Familie von Hamid M., um sie ausführlich zu ihrer Version der Vorfälle vom Freitagnachmittag zu befragen und sie zum weiteren Vorgehen ihrerseits zu beraten. Abends lud Mohammed die gesamte Brigade zu sich nach Hause ein, wo er und seine Frau uns königlich mit marokkanischem Essen bewirteten.
Am Sonntag, dem 19. März fuhren zwei Brigadist*innen mit Carmen und Laura von der SOC-SAT und Mohammed nach Granada zur andalusienweiten Versammlung der Gewerkschaft, wo Mohammed über den Arbeitskampf in San Isidro berichtete.
Der Rest der Gruppe fuhr zur Kundgebung nach San Isidro. Anders als befürchtet, handelte es sich um eine angemeldete Standkundgebung, offensichtlich hauptsächlich von der örtlichen Moschee organisiert. Die über 800 Teilnehmer*innen demonstrierten laut gegen Rassismus und Gewalt, für Respekt und friedliches Zusammenleben. Auch über die marokkanische Community hinaus solidarisierten sich Migrant*innen mit der Familie des Toten. Spanier*innen waren kaum anwesend. Die Kundgebung war stark religiös geprägt, wohl nicht zuletzt, weil es sich um eine Trauerveranstaltung handelte. Aber als das Organisationsteam einem Redner das Wort entzog, weil er ihnen zu politisch wurde und die Thematisierung der Lebensverhältnisse migrantischer Arbeiter*innen ihnen hier fehl am Platz erschien, empörte sich die Menge lautstark. Kurzerhand setzten sie den Redner einem anderen auf die Schultern, wo ihm das Mikrofon nicht mehr weggenommen werden konnte.
Abends fand in El Ejido noch ein gemeinsamer Kochabend mit den Frauen der Area de la mujer statt. Wir machten mit ihnen Kartoffelsalat, sie kochten mit uns drei verschiedene Tajines. Die Stimmung war ausgelassen, nur der Kartoffelsalat kam nicht gut an, weil auf der verwendeten Majo auch Weißweinessig als Zutat vermerkt war – der Salat also Alkohol hätte enthalten können.
Es ist viel los in der Provinz Almería. Mit dem Arbeitskampf in San Isidro und dem Tod von Hamid M. sind zwei unvorhersehbare Ereignisse eingetreten, die uns emotional nahegehen und politisch als sehr wichtig erscheinen. Wir investieren daher neben unserem ohnehin straffen Kursprogramm viel Zeit auch in diese Konflikte, soweit wir das aus unserer Position heraus können, ohne ungewollt bevormundend zu agieren oder Abhängigkeiten zu schaffen. Wir bleiben gespannt, was sich noch bewegt!