Zwischen Gewächshäusern und Erdbeerplantagen – 2. Bericht der Brigada „Saïda Menebhi“

19. September 2018|Berichte, Brigaden

Gewerkschaftsarbeit im Morgengrauen

Auch diese Woche starteten wir tatkräftig und nutzten die Morgenstunden für verschiedene Acciones Sindicales. Gemeinsam mit Arbeitern von BioSabor hissten wir die SOC- SAT Fahnen vor den verschiedenen Produktionsstätten der Firma, dessen Gemüse unter anderem bei Edeka, Rewe, Kaufland und Lidl angeboten werden. In unseren Recherchen fanden wir heraus, dass 45% der Produktion von BioSabor nach Deutschland exportiert wird.

Unterstützung durch vier der nicht wiedereingestellen Arbeiter

Aufgrund sich häufender Beschwerden über gravierende Rechtsbrüche des Unternehmens vermittelten uns die in den Arbeitskampf getretenen Arbeiter_innen, die Dringlichkeit einer transnationalen Kampagne, um mehr Druck auszuüben. Deshalb entschieden wir uns in den verbleibenden Wochen verstärkt Acciones Sindicales vor allen BioSabor Gewächshäusern und Abpackhallen zu organisieren und so viele Arbeiter_innen wie möglich für den Arbeitskampf zu mobilisieren. Mehr zu unserer Aktionsstrategie gegen BioSabor später im Text.

 

Neben den direkten Aktionen vor den Gewächshäusern haben wir auch das erste Mal aktiv Sammelorte für Arbeiter_innen wie Kreisverkehre, Straßenstreifen u.a. in Mojonera abgefahren. Viele Tagelöhner_innen ohne Aufenthaltstitel stellen sich früh morgens hin und hoffen abgeholt zu werden, um noch eine Schicht für den Tag zu bekommen. Viele der Arbeiter_innen sind junge Männer aus dem subsaharischen Raum. Ein Großteil von ihnen ist erst neu in Almería angekommen und hat kaum eine Vorstellung von hiesigen Arbeitsrechten, geschweige denn von den Pflichten ihres Arbeitgebers. In den kurzen Augenblicken des Austausches merkten wir, wie notwendig und hilfreich es für die Leute ist auch hier regelmäßig Acciones Sindicales zu organisieren. Auch stellten wir einen wichtigen Bedarf an französisch- sprachigen Infomaterial und Personal fest, zum Beispiel im Falle von Rechtsberatungen und potentiellen Arbeitskämpfen. Zum ersten Mal teilten wir auch Arbeitszeitkalender aus, um den Arbeiter_innen ein Instrument zu geben, ihre Arbeitsstunden zu dokumentieren und am Ende des Monats mit der oft vom Unternehmen verfälschten Gehaltsabrechnung abzugleichen. Ob es wirklich ein wirksames Instrument für die Arbeiter_innen ist, wird sich herausstellen.

Nach den Acciones Sindicales und dem Treffen mit Vorgesetzten bei der Firma Primaflor, kamen 16 Arbeiter_innen diese Woche versammelt in das SOC- SAT Büro, um gemeinsam ihren Unmut gegen den Großproduzenten kund zu tun. Sie haben zum Teil schon 10-16 Jahre für diesen gearbeitet und erst seit letztem Jahr unbefristete Verträge bekommen. Die Arbeiter_innen berichteten uns von den verheerenden Arbeitsbedingungen (unbezahlte Überstunden, fehlende Arbeitsstunden auf Gehaltsabrechnungen, unverhältnismäßige Sanktionsmaßnahmen z.B. Aussetzen des Lohns, 12 Tage Arbeitssperre, 1 Bad für mehr als 50 Personen etc.). Entschlossen möchten Sie nun in den Arbeitskampf gehen. Wir unterstützen sie dabei entlang der Lieferkette bei Zertifizierern, Labels, Zwischenhändlern und Supermärkten Druck aufzubauen.

BioSabor – Der Arbeitskampf geht in die nächste Runde

Währenddessen intensiviert sich der Arbeitskampf beim Bio-Produzenten BioSabor. Bereits seit 2017 befindet sich ein Teil der Belegschaft in Konflikt mit der Unternehmensleitung. Seither haben immer mehr Arbeiter_innen ihr Schweigen gebrochen und berichten von systematischen Rechtsbrüchen und unhaltbaren Zuständen in den Gewächshäusern der Unternehmensgruppe. Unter dem Namen und mit dem Logo von ‚Biosabor’ wird darüber hinaus Gemüse der Unternehmen ‚Consabor’ und ‚Biobelmonte’ vertrieben, die ebenfalls von Firmenchef Francisco Belmonte geführt werden.

José bespricht die weitere Vorgehensweise im Arbeitskampf

26 Arbeiter_innen aus ebendiesen Unternehmen haben sich in der SOC-SAT organisiert und fordern nicht mehr als die Einhaltung des rechtlich bindenden Tarifvertrages. Dazu zählen die Vergütung von Überstunden, das Bereitstellen von Schutzkleidung für das Versprühen von Schwefel und anderen gesundheitsschädlichen Stoffen sowie die gesetzmäßige Umwandlung von befristeten Arbeitsverträgen in Festanstellungen.

Neben der Bioqualität wird auch die Einhaltung grundlegender Sozial- und Arbeitsstandards von Bio-Konsument_innen in Nordeuropa als garantiert vorausgesetzt – insbesondere, wenn die Produkte über eine Vielzahl von Labels verfügen, die als Nachweis für eine entsprechende Unternehmensethik dienen. Das Gemüse von BioSabor ist mit insgesamt 15 Labels zertifiziert. Hier im Plastikmeer von Almería sind wir erneut damit konfrontiert, dass die kleinen Sticker auf unserem Obst und Gemüse die Realität der Arbeiter_innen des Plastikmeers nicht verändert haben. Arbeitsrechte bleiben ein Privileg, das sich in Kleinstarbeit erkämpft werden muss.

Vor den Toren von Biobelmonte

Den Vorschlag der Gewerkschaft den Konflikt um die Gewährleistung des Tarifvertrages mithilfe einer Mediationsrunde beizulegen schlug Unternehmenschef Francisco Belmonte aus. Stattdessen wurden sechs der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter_innen zum Beginn der Saison nicht wiedereingestellt. Der führende Gewerkschaftsvertreter zeigt uns seine Gehaltsabrechnung und berichtet von Lohnkürzungen, indem Überstunden unterschlagen werden sowie verbalen Drohungen durch seine Vorarbeiter_innen.

BioSabor bleibt derweil im Rennen um einen Preis für ethische Unternehmensführung der niederländischen Bank Triodos. Wir beraumen daraufhin ein Plenum an, um unsere Kampagne zu BioSabor zu beschleunigen. Nach zwei Stunden der Diskussion ist das Whiteboard gefüllt mit unserem Plan für die nächsten Wochen und wir machen uns an die Arbeit. Ziel ist es die Zertifizierungsunternehmen, Labels, Medien aber auch Supermärkte, die BioSabor Produkte führen, über die ausbeuterischen Methoden aufzuklären und auf diese Weise das Unternehmen unter Druck zu setzen, den Tarifvertrag flächendeckend einzuhalten.

Arbeit im Barrio El Puche mit der Asociación Annahda

Interbrigadas hatte in einer vorherigen Brigade Kontakt mit einem Nachbarschaftsverein in El Puche aufgenommen. Der Stadtteil ist wohl das, was man ein “Problemviertel” nennt: Infrastruktur wie Müllabfuhr und öffentlicher Verkehr werden von der Stadt nicht bereitgestellt und auch der Strom funktioniert oft nicht. Und so lebt hier vor allem der marginalisierte Bevölkerungsteil Almerias, wie etwa migrantische Arbeiter_innen. Die Asociación Annahda bietet unter schwierigen Umständen für die Kinder des Viertels eine Nachmittagsschule an, wo die Kinder Nachhilfeunterricht erhalten.

Vorbereitungen für das Mural bei der Asociación Annahda

Allerdings waren die Wände der Schule stark beschmiert, sodass die Brigade gefragt wurde, ob sie die Wand verschönern könnte. Der Lehrer dachte dabei vor allem an pädagogische Motive, ließ uns beim Design aber sehr viel Freiheit. Gemeinsam mit den Kindern nahmen wir Pinsel und Farbe in die Hand und gaben den Wänden einen neuen Anstrich. Einen Teil der Wand sollen die Kinder frei gestalten. Für den restlichen Teil lassenn wir uns von ihren Gedanken zum Barrio inspirieren. Das Wandbild soll daher die Probleme sowie Wünsche der Kinder für ihr Viertel widerspiegeln. Trotz ihres jungen Alters, steht vor allem das Thema Rassismus im Zentrum.

Gemeinsames Ideensammeln

So schrieben die Kinder zum Beispiel “No al racismo, al machismo, a la homophobia y a la violencia” (Nein zu Rassismus, Sexismus, Homphobie und Gewalt). Zudem wünschten sie sich eine saubere Umgebung und die Möglichkeit in der Asociación Annahda zu lernen.

Huelva – Der Preis des roten Goldes

Am Samstagmorgen machen wir uns auf den Weg nach Huelva. Eine Region bekannt für ihr „rotes Gold“ – die Erdbeerproduktion. Diese hat in den letzten Monaten viel Aufmerksamkeit erhalten, insbesondere auch in den deutschen Medien. Grund hierfür waren die Reportagen von ‚CORRECTIV’, ‚BuzzFeed News’ und dem ‚RTL Nachtjournal’ über sexuelle Gewalt gegenüber der überwiegend aus Marokko stammenden Erntehelferinnen. Knapp ein Drittel der von den Journalist_innen Befragten gab an, sexuell belästigt oder vergewaltigt worden zu sein und berichtete von Drohungen durch ihre Arbeitgeber, sollten sie sich der sexuellen Praktiken verweigern. Zehn Frauen haben inzwischen Anzeige erstattet und befinden sich seither ohne Arbeit und Einkommen in der Region, während ihr Fall vor den spanischen Gerichten verhandelt wird.

Unsere Exkursion führt uns über ein Dorf vor Málaga, in dem wir uns mit diesen zehn Frauen und der lokalen SOC-SAT treffen. Anschließend geht es nach Huelva. Ziel unseres Besuchs ist es, in einem Gespräch mit den Arbeiter_innen, Gewerkschafter_innen und anderen lokalen Akteur_innen mehr über die Arbeitsumstände in der Region, die geschlechtsspezifische Problematik und die Forderungen der Frauen zu erfahren. Wir sind aufgeregt – können wir Brücken schlagen zu unserer Arbeit in Berlin und Almería? Wie hat sich die Situation nach dem Medienhype entwickelt? Welche Resonanz hat das Thema in der lokalen Bevölkerung erfahren?

Das Wochenende wird das bisher schwierigste unserer Brigade werden. Am Samstagnachmittag sitzen wir nach dem Gespräch mit fünf ehemaligen Erntehelferinnen aus Huelva und der dortigen SOC-SAT in einem Park eines kleinen Dorfes vor Málaga. Die Stimmung ist emotional aufgeladen. Wir müssen feststellen, dass die Situation komplexer ist als wir angenommen hatten. Der Gerichtsprozess ist noch im Gange, verschiedene Organisationen sind involviert, im Gespräch zuvor haben wir uns auf Spanisch und Französisch verständigt, Vieles konnte nicht ausgedrückt werden. Wir haben das Gefühl die Perspektive der Frauen nicht wirklich gehört zu haben.

Die Perspektive der CNT zeichnet kein besseres Bild von der Situation in Huelva

Am nächsten Tag geht es weiter nach Huelva, wo wir uns mit Gewerkschaftern der lokalen SOC-SAT sowie der Confederación Nacional del Trabajo (CNT) treffen. Beide Gespräche bestätigen unsere Erfahrungen aus Almería – die Rechtsbrüche und Missbräuche sind Teil eines etablierten Systems und die Abhängigkeiten und daraus resultierenden Ängste der migrantischen Arbeiter_innen zwingen viele von ihnen zum Schweigen.

Es mangelt an zivilgesellschaftlichem Protest und an gewerkschaftlichen Ressourcen. Einige wenige Personen arbeiten – meist ehrenamtlich – zu den arbeitsrechtlichen Missständen. Sie berichten uns vom gesellschaftlich tief verankerten Rassismus, der ihre Arbeit neben all den anderen strukturellen Hürden so schwierig macht.

Am Montagmorgen besuchen wir vor unserer Abfahrt noch die Erdbeerplantagen, die in diesem Monat fast alle brachliegen. Viele von ihnen liegen hinter den Mauern der mit Heiligenstatuten geschmückten Fincas, in denen die Erntehelfer_innen meist nicht nur arbeiten, sondern auch leben.

…bis dahin liegen die Felder brach

Trotz der teilweisen Ernüchterung des Wochenendes, sind es die direkten Einblicke und persönlichen Gespräche, die für unsere Arbeit in Berlin und die Kooperation mit der Gewerkschaft unabdingbar sind. Der Reflexionsprozess unserer Brigade über das Thema Huelva ist noch im Gange.

 

Huertoliva – Solidarisches Olivenöl aus Morón

In Morón besuchten wir die Kooperative Huertoliva, mit der Idee eine Kooperation zum Vertrieb von solidarisch produziertem Olivenöl zu finden. Mit einem Teil der Einnahmen unterstützen sie die Repressionskasse der SOC-SAT. Nach einem ausgiebigen Essen, bei dem wir das selbstproduzierte Olivenöl probieren konnten, wurden wir durch die Produktionsstätte geführt. In dem Betrieb arbeiten ganzjährlich drei, zur Ernterzeit bis zu sieben Personen. Die Hauptarbeit und die Hauptfinanzquelle ist die Olivenölpresse, die Kleinproduzenten der Region zur Verfügung gestellt wird. In Huertoliva können sie zu einem fairen Preis die Maschinen benutzen und Olivenöl aus Eigenanbau pressen. Den Ernteüberschuss verkaufen sie an Huertoliva, der unter anderen Umständen keine Verwendung finden würde. Dieses Öl wird von Huertoliva ohne Zwischenhändler in lokalen Läden und übers Internet vertrieben. Die Oliven aus den Feldern des Betriebs finden nur für Familie und Freund_innenkreis Verwendung, selten wird ein Überschuss produziert. Die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft, die immer mehr das Kleinbäuer_innentum und die Subsistenzwirtschaft verdrängt und der zusätzliche Nutzen mit einem ökonomischen Projekt die Repressionskasse der Gewerkschaft aufzubessern, bestätigt uns darin die Kooperative Huertoliva und deren Arbeit und Werte zu unterstützen.

 

 

 

 

 

 

 

 

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